Mittwoch, 2. Dezember 2015

Keine Preisschilder für psychische Erkrankungen!


(BaZ 28.11.2015/Joël Hoffmann)
Gewerkschaft will Fallpauschalen in der Psychiatrie verhindern

Der VPOD kritisiert, dass ab 2018 auch in der Psychiatrie Krankheiten nicht mehr individuell, sondern pauschal abgerechnet werden [sollen].

Wie viel kostet eine alltägliche Blinddarmoperation? Die Diagnose ist rasch klar, die Behandlung eingespielt, die Aufenthaltsdauer im Spital ist ebenfalls rasch definiert – die Kosten lassen sich daraus also relativ gut errechnen. Bei einer psychischen Erkrankung wird es komplizierter: Diagnosen sind weicher, Krankheitsbilder oft zu Beginn nicht eindeutig, der Heilungsverlauf ist individuell und noch stärker von äusseren Faktoren, wie dem Umfeld abhängig. Kurzum: Die Kosten für eine künftige stationäre Behandlung in der Psychiatrie sind schwieriger zu errechnen als eine körperliche Behandlung. Doch nun soll auch jeder stationäre Aufenthalt in der Psychiatrie ein klar definiertes Preisschild erhalten, wie dies bei den Spitälern bereits üblich ist. Die Gewerkschaft VPOD lancierte am Donnerstagabend in Liestal eine Kampagne, um dieses Vorhaben zu stoppen.

Moralisch unhaltbar: 2018 sollen nun auch in der Psychiatrie sogenannte Fallpauschalen eingeführt werden. Wie es der Name sagt, wird das Spital nicht für die konkreten Kosten entschädigt, sondern erhält lediglich für den Fall eine Pauschale. Dieses Geld muss ausreichen. Reicht das Geld nicht aus, macht das Spital mit dem Fall Verlust. Oder im umgekehrten Fall einen Gewinn. Die Berechnung geht so: Klinik und Krankenkassen verhandeln einen Grundpreis, die sogenannte Baserate. Kommt ein neuer Patient, wird dieser anhand von Diagnose und Schweregrad kategorisiert – der Fall bekommt eine Zahl, die mit dem Grundpreis multipliziert wird: Das Resultat ist das Preisschild, mit dem das Spital auskommen muss.

In der Psychiatrie eingeführt, hätte dieses Modell Auswirkungen, die für den VPOD moralisch und ökonomisch unhaltbar sind. «Es ist das alte neoliberale Lied, von der Vergleichbarkeit der Kliniken und dem Wettbewerb», sagt Marianne Meyer vom VPOD. Der ehemalige Gewerkschafter und Geschäftsleiter des linken Thinktank Denknetz, Beat Ringger, erläutert, weshalb das Tarpsy genannte System falsch sei: «Die verletzte Seele wird zur Ware.» Der Mensch werde zunehmend ökonomisiert und kommerzialisiert. Letztlich werde das Vertrauen des Patienten, geheilt zu werden, untergraben, weil er für die Klinik eben Ware oder ein unrentabler Kostenfaktor wird. Auch die Pflegenden, so der Gewerkschafter, würden unter dem steigenden ökonomischen Druck immer mehr mit weniger Personal leisten müssen, bis die Pflegequalität sogar ethisch nicht mehr tragbar sei.

Hinter diesem Schreckgespenst, der «neoliberalen» Fallpauschalen, stehen in der Tat Anreizmechanismen, welche die gewerkschaftlichen Parolen durchaus mit Inhalt füllen: Das Tarpsy ist so konstruiert, dass die Klinik einen Anreiz hat, den Patienten acht Tage zu behalten, weil dann die volle Pauschale ausbezahlt wird. Nach acht Tagen jedoch kann die Klinik nur noch mit zu niedrigen Tagespauschalen arbeiten, weshalb die Klinik ein Interesse hat, die Patienten dann wieder loszuwerden. Der VPOD befürchtet einerseits, dass Leute zu lange im Haus behalten werden, und andererseits, dass Kranke zu früh entlassen werden.

Weitere Probleme ortet der VPOD bei der Festlegung des Preisschildes, also der Tarpsy. Der Patient muss gleich nach dem Eintritt eine klare Diagnose erhalten. Die Ärzte müssen zudem die Fallschwere berechnen. Diese sogenannte Codierung des Patienten ist die zwingende Grundlage für den Erhalt der Fallpauschale. Ringger spricht von «Bürokratisierung» oder vom «Zwang zur Diagnose», die den Patienten sofort stigmatisiere. Und: «Es ist Scharlatanerie, so zu tun, als wäre die Diagnostik in der Psychiatrie knallhart. In der Tat sind die Diagnosen weich.»

Profit auf Kosten von Patienten: Das Resultat ist für Ringger eindeutig: «Es wird auf Kosten von Patienten und Personal Profit gemacht.» Wer genau wie von den Fallpauschalen profitieren würde, müsste sich erst zeigen, denn die SwissDRG AG, die dieses System erarbeitet, besteht aus Vertretern der Spitäler, Krankenkassen, Ärzteschaft und den Gesundheitsdirektoren. Diese Interessenvertreter ringen um das Fallpauschalensystem. Während die Ärzte dagegen sind, hätten die Krankenkassen lieber ein noch strikteres System.

Der Bundesrat wird entscheiden müssen, ob er das von SwissDRG erarbeitete Bezahlmodell 2018 einführen will. Für die Gewerkschaft und die am Donnerstag anwesenden Fachpersonen und Personalvertreter aus den Kliniken und Spitälern wollen dieses Bezahl­modell bekämpfen. Die Kritik jedenfalls scheint schweizweit inzwischen so gross zu sein, dass SwissDRG bereits an einem modifizierten Tarpsy-Modell arbeite. Das Gesetz indes ist eindeutig: Fallpauschalen sollten zwar die Regel sein, sind jedoch nicht zwingend. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht kürzlich bestätigt. Es wird sich also zeigen, ob die Schweiz als erstes Land Europas Preisschilder für psychische Erkrankungen einführt.

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