(BaZ 28.11.2015/Joël Hoffmann)
Gewerkschaft will Fallpauschalen in der
Psychiatrie verhindern
Der VPOD kritisiert, dass ab 2018 auch in
der Psychiatrie Krankheiten nicht mehr individuell, sondern pauschal
abgerechnet werden [sollen].
Wie viel kostet eine alltägliche
Blinddarmoperation? Die Diagnose ist rasch klar, die Behandlung eingespielt,
die Aufenthaltsdauer im Spital ist ebenfalls rasch definiert – die Kosten
lassen sich daraus also relativ gut errechnen. Bei einer psychischen Erkrankung
wird es komplizierter: Diagnosen sind weicher, Krankheitsbilder oft zu Beginn
nicht eindeutig, der Heilungsverlauf ist individuell und noch stärker von
äusseren Faktoren, wie dem Umfeld abhängig. Kurzum: Die Kosten für eine
künftige stationäre Behandlung in der Psychiatrie sind schwieriger zu errechnen
als eine körperliche Behandlung. Doch nun soll auch jeder stationäre Aufenthalt
in der Psychiatrie ein klar definiertes Preisschild erhalten, wie dies bei den
Spitälern bereits üblich ist. Die Gewerkschaft VPOD lancierte am
Donnerstagabend in Liestal eine Kampagne, um dieses Vorhaben zu stoppen.
Moralisch unhaltbar: 2018 sollen nun auch in der Psychiatrie
sogenannte Fallpauschalen eingeführt werden. Wie es der Name sagt, wird das
Spital nicht für die konkreten Kosten entschädigt, sondern erhält lediglich für
den Fall eine Pauschale. Dieses Geld muss ausreichen. Reicht das Geld nicht
aus, macht das Spital mit dem Fall Verlust. Oder im umgekehrten Fall einen
Gewinn. Die Berechnung geht so: Klinik und Krankenkassen verhandeln einen
Grundpreis, die sogenannte Baserate. Kommt ein neuer Patient, wird dieser
anhand von Diagnose und Schweregrad kategorisiert – der Fall bekommt eine Zahl,
die mit dem Grundpreis multipliziert wird: Das Resultat ist das Preisschild,
mit dem das Spital auskommen muss.
In der Psychiatrie eingeführt, hätte dieses
Modell Auswirkungen, die für den VPOD moralisch und ökonomisch unhaltbar sind.
«Es ist das alte neoliberale Lied, von der Vergleichbarkeit der Kliniken und
dem Wettbewerb», sagt Marianne Meyer vom VPOD. Der ehemalige Gewerkschafter und
Geschäftsleiter des linken Thinktank Denknetz, Beat Ringger, erläutert, weshalb
das Tarpsy genannte System falsch sei: «Die verletzte Seele wird zur Ware.» Der
Mensch werde zunehmend ökonomisiert und kommerzialisiert. Letztlich werde das
Vertrauen des Patienten, geheilt zu werden, untergraben, weil er für die Klinik
eben Ware oder ein unrentabler Kostenfaktor wird. Auch die Pflegenden, so der
Gewerkschafter, würden unter dem steigenden ökonomischen Druck immer mehr mit
weniger Personal leisten müssen, bis die Pflegequalität sogar ethisch nicht
mehr tragbar sei.
Hinter diesem Schreckgespenst, der
«neoliberalen» Fallpauschalen, stehen in der Tat Anreizmechanismen, welche die
gewerkschaftlichen Parolen durchaus mit Inhalt füllen: Das Tarpsy ist so
konstruiert, dass die Klinik einen Anreiz hat, den Patienten acht Tage zu
behalten, weil dann die volle Pauschale ausbezahlt wird. Nach acht Tagen jedoch
kann die Klinik nur noch mit zu niedrigen Tagespauschalen arbeiten, weshalb die
Klinik ein Interesse hat, die Patienten dann wieder loszuwerden. Der VPOD
befürchtet einerseits, dass Leute zu lange im Haus behalten werden, und
andererseits, dass Kranke zu früh entlassen werden.
Weitere Probleme ortet der VPOD bei der
Festlegung des Preisschildes, also der Tarpsy. Der Patient muss gleich nach dem
Eintritt eine klare Diagnose erhalten. Die Ärzte müssen zudem die Fallschwere
berechnen. Diese sogenannte Codierung des Patienten ist die zwingende Grundlage
für den Erhalt der Fallpauschale. Ringger spricht von «Bürokratisierung» oder
vom «Zwang zur Diagnose», die den Patienten sofort stigmatisiere. Und: «Es ist
Scharlatanerie, so zu tun, als wäre die Diagnostik in der Psychiatrie
knallhart. In der Tat sind die Diagnosen weich.»
Profit auf Kosten von Patienten: Das Resultat ist für Ringger eindeutig: «Es
wird auf Kosten von Patienten und Personal Profit gemacht.» Wer genau wie von
den Fallpauschalen profitieren würde, müsste sich erst zeigen, denn die SwissDRG
AG, die dieses System erarbeitet, besteht aus Vertretern der Spitäler,
Krankenkassen, Ärzteschaft und den Gesundheitsdirektoren. Diese
Interessenvertreter ringen um das Fallpauschalensystem. Während die Ärzte
dagegen sind, hätten die Krankenkassen lieber ein noch strikteres System.
Der Bundesrat wird entscheiden müssen, ob
er das von SwissDRG erarbeitete Bezahlmodell 2018 einführen will. Für die
Gewerkschaft und die am Donnerstag anwesenden Fachpersonen und
Personalvertreter aus den Kliniken und Spitälern wollen dieses Bezahlmodell
bekämpfen. Die Kritik jedenfalls scheint schweizweit inzwischen so gross zu
sein, dass SwissDRG bereits an einem modifizierten Tarpsy-Modell arbeite. Das
Gesetz indes ist eindeutig: Fallpauschalen sollten zwar die Regel sein, sind
jedoch nicht zwingend. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht kürzlich
bestätigt. Es wird sich also zeigen, ob die Schweiz als erstes Land Europas
Preisschilder für psychische Erkrankungen einführt.
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